Frankreichs Meisterköche
Paul Bocuse, der grandiose Küchenchef unserer Zeit, sollte Escoffiers Arbeitsweise dank moderner Kommunikation über die Grenzen Frankreichs hinaus verbreiten. Er hat es darin zu wahrer Meisterschaft gebracht. Bocuse hat das technische Knowhow Escoffiers um das How-to-make-known erweitert. Mit ihm wird der Küchenchef zu einem Magier der Küche, einem Mann in Weiß, der am Herd ebenso geschickt ist wie im Umgang mit den aufkommenden Fernsehshows.
“Durch Bocuse erhält das Metier des Kochs sein Adelsprädikat und besiegelte die Dominanz der französischen Kochkunst.”
Mit Bocuse als Vorreiter gehen in der Nachfolge jüngere französische Köche daran, Escoffiers Errungenschaften zu modernisieren und zu einer leichteren Küche zu vereinfachen. So entsteht die nouvelle cuisine. Ihren Namen erhält sie offiziell im Oktober 1973 von den beiden Journalisten Henri Gault und Christian Millau. Dank dieser ästhetischen Revolution kann sich die französische Kochkunst ihre Ausnahmestellung erhalten, eine Dominanz, die unangefochten bis zum Ende der 1990er-Jahre währte. Die Nouvelle Cuisine konnte sich in einem günstigen wirtschaftlichen Umfeld entwickeln, das der Soziologe Jean Fourastié die Trente Glorieuses, die 30 Jahre des Wohlstands, genannt hat.
Olé! Alle zu Tisch in Spanien!
Die ersten Zeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs in Frankreich gingen einher mit einem nachlassenden Einfluss der französischen Küche. Ein anderes europäisches Land, das sich an der Wende zum 21. Jahrhundert in einer rasanten wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung befand, trat an Frankreichs Stelle: Spanien. Spanien war 1992 Gastgeberland der Olympischen Spiele und lebte damals nach dem Takt der Movida, jener unverkrampften kulturellen Bewegung, deren Bannerträger der Designer Javier Mariscal und der Regisseur Pedro Almodóvar waren. Sie bot einen dynamischen und kreativen Nährboden, auf dem auch ein Kochkünstler wie Ferran Adrià und seine kulinarische Revolution gedeihen konnten. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ist er es, der von seinem im Norden von Barcelona gelegenen Refugium Roses aus Formen, Farben und Texturen in der Gastronomie revolutioniert. So erfindet er an die 30 Praliné-Happen, die er dem Gast nacheinander serviert und diesen von einer Überraschung in die andere stürzen. Alle seine Sinne sind gefordert!
“Damit lässt Adrià die klassische französische Küche weit hinter sich. Er spricht vielmehr von einer «techno-emotionalen» Küche, da sie Spitzentechnologie erfordere, um Emotionen zu kreieren.”
Hinter diesem Tausendsassa von Küchenchef sind Dutzende von Köchen, Regionen und Produkten versammelt. Kurz, ein ganzes Land kommt hier zusammen und profitiert davon, in diesem neuartigen Rampenlicht zu stehen. Spanien rückt auf diese Weise weltweit in die vorderste Reihe der Länder mit großer Gastronomie.
Platz frei für die neoandinische Küche!
Diesem Beispiel Spaniens wird auch in Lateinamerika nachgeeifert, wo etwa Peru sich mit Erfolg um das Image eines kulinarischen Musterlands bemüht. Ursprünglich das Herkunftsland der Kartoffel und Erzeugerland von Kakaobohnen, das mit einem sehr interessanten Nationalgericht aufwarten kann, dem ceviche, ist Peru nunmehr bestrebt, mit seinen Pfunden zu wuchern: Dieses Pfund ist eine neue Generation von tüchtigen und umtriebigen Küchenchefs, mit Gastón Acurio als Vorzeigekoch. In kaum 15 Jahren hat Acurio ein Ensemble von etwa 40 Restaurants in 13 verschiedenen Ländern auf die Beine gestellt. Zwar wird bei jeder Neueröffnung darauf Wert gelegt, dass alle Küchenstyles vertreten sind, gleichwohl steht bei Acurio die Kochkunst Perus und damit die Kultur des Landes insgesamt im Zentrum. Mit einem von der Nouvelle Cuisine übernommenen Ausdruck bezeichnet er die heutige Küche seines Landes als «neoandinisch». Dieser Ausdruck passt haargenau auch auf die bolivianische Gastronomie, wo mit der Eröffnung des Restaurants Gustu ein ähnlicher Weg eingeschlagen wird. Aber auch für Brasilien mit seinem Spitzenkoch Alex Atala gilt Gleiches.
Wirtschaft und kulinarische Ausstrahlung
Gegenwärtig kann man überall auf der Welt die Entstehung derartiger Initiativen beobachten. In Asien ist es Südkorea, das über seine fermentierten Gerichte größeren Einfluss bekommen möchte. Im östlichen Mittelmeer stehen die libanesische und die türkische Gastronomie bereit, um mit einer neuen Generation von Kochkünstlern als Botschafter ihrer Länder in den kulinarischen Wettbewerb einzutreten. Handel, Tourismus und Internet haben bewirkt, dass die Kochkunst, die Sphäre des gehobenen Geschmacks und der Gastlichkeit, in kultureller wie in ökonomischer Hinsicht zu einem wichtigen diplomatischen Hilfsmittel geworden ist. Der Einfluss eines Landes wird sich in Zukunft auch an der Kreativität und Ausstrahlung seiner Gastronomie bemessen lassen.