100 Prozent Bio, die ideale Diät unserer Vorfahren
In mehr oder weniger regelmässigen Abständen tauchen neue «natürliche» Diäten am «Ernährungs-Himmel» auf. Die Menschen in Industriegesellschaften, für die Natur gleichbedeutend ist mit Gesundheit, geraten ins Schwärmen. Heutzutage steht die Paläo(lithische)-Diät hoch im Kurs, bei der man sich wie unsere Vorfahren von rohem Gemüse, Fleisch, ohne industriell verarbeitete Nahrungsmittel oder Milchprodukte ernährt. Zwischen 1930 und 1970 machte jedoch eine ganz andere 100 Prozent natürliche Diät das Rennen: die Ernährungsweise der Hunzukuc. Diese Menschen lebten zurückgezogen in einem vergessenen Tal im Himalaya – dem «Lieferanten» angeblich gesunder Nahrungsmittel. Sie blieben von der modernen Zivilisation verschont, sind autark, glücklich, kräftig und werden dank ihrer Genügsamkeit und vor allem ihrer Aprikosen hundert Jahre alt. Selbst die Tatsache, dass dieses Volk an Malaria, Ruhr und Geschwürbildungen auf Grund von Vitaminmangel litt, konnte die Menschen im Westen nicht erschüttern. Sie glaub(t)en fest daran, dass der Mensch früher genauer wusste, was gut für ihn ist.
Artikel “Santé-bonheur”, von Harvey Levenstein, in Manger magique, coll. Autrement, 1994
"Diet bread", article published in <em>Arts Ménagers</em>, Paris, 1959<br />
Gluten, der neue Feind
Produkte ohne Gluten ähnelten vor 20 Jahren dem, was sie waren: spezielle Nahrungsmittel für Menschen, die an Zöliakie, einer Glutenunverträglichkeit, litten, also für 0,25 bis 1 Prozent der Bevölkerung. Heute gibt es immer mehr appetitliche, glutenfreie Lebensmittel, die alle mit einem gemeinsamen Gütezeichen versehen sind. Anfang 2000 kamen in den USA glutenfreie Diäten in Mode; sie sollten für mehr Vitalität, Gewichtsreduktion, bessere Verdauung, höhere Immunität und geringere Hyperaktivität sorgen und begeisterten mit diesen Versprechungen auch 15 bis 20 Prozent der Europäer. Diese Menschen behaupten heute von sich, dass sie ein Protein, das es seit Menschengedenken gibt, nicht vertragen würden oder übermässig empfindlich dagegen seien. Dabei bedenken sie nicht, dass Millionen von Europäern und Orientalen, deren Grundnahrungsmittel bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts Brot war, genau dieses Protein zu sich genommen haben. Ob allerdings der Verzicht auf Gluten für Menschen, die nicht an Glutenintoleranz leiden, gesundheitsfördernd ist, wurde bisher in keiner Studie nachgewiesen!
Journal of Cereal Science, “Does wheat make us fat and sick ?”
Joghurt reinigt die Darmflora
Joghurt ist heute ein Volksnahrungsmittel. Anfang des 20. Jahrhunderts galt es aber als Medizin und wurde hauptsächlich in Apotheken verkauft. Aus dieser medizinischen Vergangenheit hat Joghurt bis in unsere Tage gesundheitliches Kapital geschlagen. Schuld daran ist der ukrainische Forscher Ilja Iljitsch Metschnikow, der 1901 behauptete, dass die zwei Kilo Bakterien, die sich in unserem Darm befinden, den Organismus vergiften würden und «der Grund für unser zu kurzes Leben» seien. «Eine Ungerechtigkeit [...], die die Wissenschaft beheben müsse». Seine Lösung: Joghurt! Joghurt ist reich an guten Bakterien, die die Darmflora von allen unerwünschten Mikroorganismen reinigen. Trotz seines intensiven Joghurtgenusses starb Metschnikow 1916 im Alter von 71 Jahren und war damit weit entfernt vom hohen Alter derer, die geronnene Milch zu sich nahmen, allen voran den bulgarischen Bauern, die ihn zu seinen Joghurt-Forschungen veranlasst hatten.