Forschungen des Institute of Life Technologies
Kartoffeln, Weizen und Soja sind die grundlegenden Kohlenhydrat- und Eiweissquellen der Astronauten. Roh kaum oder gar nicht essbar, müssen sie vor dem Verzehr verarbeitet werden. Für die zweite Projektphase von MELiSSA betraute die ESA ein Konsortium aus Institut Paul Lambin, Institute of Life Technologies in Sion (Schweiz), den Unternehmen GEM und SHERPA (Frankreich) sowie RUAG (Schweiz) mit der Aufgabe, über grundsätzliche Möglichkeiten der Verarbeitung dieser Grundnahrungsmittel unter Berücksichtigung der schwierigen Weltraumbedingungen nachzudenken8.
In seinem Pilotlabor, zwischen Siebmaschine, hydraulischer Presse und allerlei Kochgefässen pendelnd, erklärt Laurence Nicolay, Projektverantwortlicher für die Nahrungsmittelverarbeitung und ihre sensorischen Eigenschaften (das Institut Paul Lambin übernimmt die Nährwertbestimmung der Lebensmittel): „Zunächst einmal geht es um die grösstmögliche Vielfalt - bei Kartoffeln um Dampfkartoffeln, im Wasser gekochte Kartoffeln mit oder ohne Schale, Puffer, Püree, Flocken und so weiter.“ Die erste Herausforderung ist, sich alle Zustände eines Lebensmittels vorzustellen. Mit den wenigen Pflanzen aus dem Mars-Gemüsegarten muss die Besatzung über mehrere Monate ernährt werden, ohne dass Überdruss infolge eines monotonen Speiseplans aufkommt.
Laurence Nicolay, Projektverantwortlicher für die sensorischen Eigenschaften der Nahrungsmittel am Institute of Life Technologies in Sion
©Diana Danko/Mangophotography
Laboratorium des Institute of Life Technologies, HES-SO Sion, Schweiz 2016
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Laboratorium des Institute of Life Technologies, HES-SO Sion, Schweiz 2016
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Laurence Nicolay, Projektverantwortlicher für die sensorischen Eigenschaften der Nahrungsmittel am Institute of Life Technologies in Sion
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Laboratorium des Institute of Life Technologies, HES-SO Sion, Schweiz 2016
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Laboratorium des Institute of Life Technologies, HES-SO Sion, Schweiz 2016
©Diana Danko/Mangophotography
Weichweizen wird zu Azymon-Brot – Brot ohne Hefe - gebacken: „Denn auf den Mars dürfen keine Mikroorganismen verbracht werden, da sie schwer zu beherrschen sein könnten“, präzisiert Laurence Nicolay9. Aus Hartweizen werden die Astronauten Nudeln und Bulgur, aus Soja Nudeln, Milch, Tofu und Okara, ein in der westlichen Welt wenig konsumiertes Nebenprodukt der Sojamilch, herstellen10. Für Laurence Nicolay steht fest: „Man muss unbedingt alle Bestandteile der angebauten Pflanzen nutzen, um möglichst wenig Abfall zu produzieren.“
In den Institutslabors untersuchen Laurence Nicolay und sein Team sämtliche Verarbeitungsverfahren vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Um beispielsweise die Herstellung von Azymon-Brot zu analysieren, beginnen sie mit den Weizenkörnern, die verschiedene Stadien durchlaufen: Mahlen und Sieben im Prototyp einer Mehlmühle, Hinzufügen von Wasser und Kneten in einer elektrischen Knetmaschine, Ziehenlassen, manuelle Portionierung des Teigs, schliesslich Backen im Ofen. Alle Schritte werden dokumentiert: Die nötige Weizenmenge, aber auch der Wasser- und Elektrizitätsbedarf, Produktionszeit sowie Grösse und Gewicht der eingesetzten Maschinen.
Jede Nahrungsmittelverarbeitung ergibt eine Materialbilanz: Wie viel vom Ausgangsstoff blieb erhalten oder ging verloren? Im Ökosystem MELiSSA sind Nahrungsmittel wertvoll, maximale Ausbeute ist deshalb das Ziel. Auf der Erde belanglos erscheinende Fragen erlangen auf dem Roten Planeten immense Bedeutung: „Schälen wir die Kartoffeln? Und wenn ja, was wird mit den Schalen? Kann man sie noch zur Nahrung verwenden?“, fragt Laurence Nicolay.
Ebenso notwendig ist die Nährstoffmessung in den Nahrungsmitteln vor und nach der Verarbeitung. „Wir müssen den Gehalt an Makro- und Mikronährstoffen bestimmen“, ergänzt Laurence Nicolay. Nur mit diesen Daten lassen sich Speisen nach den Bedürfnissen der Astronauten zubereiten. Denn der Kalorienbedarf kann unterschiedlich sein, besonders bei Missionen ausserhalb der Raumfähre11. Es zeigte sich, dass bei Raumfahrtmissionen die Kalorienzufuhr der Astronauten oft ungenügend war: „Studien haben gezeigt, dass Astronauten unterernährt sein können, denn ihre Ernährung ist eintönig und sie haben manchmal keine Lust mehr, zu essen“12 fährt Laurence Nicolay fort. „Bei kürzeren Flügen schadet ein solches Defizit weniger, da der Organismus über körpereigene Reserven verfügt. Bei langen Flügen wie etwa zum Mars könnte ein solches Defizit jedoch den Missionserfolg und das Überleben der Astronauten gefährden.“
Blick in das MELiSSA-Labor an der Universitat Autònoma de Barcelona (UAB), 2009
Blick in das MELiSSA-Labor an der Universitat Autònoma de Barcelona (UAB), 2009
Die Ausstellung “Rocket Science” stellt das Projekt MELiSSA vor und zeigt, wie ein gutschmeckendes Menu aussehen könnte, wenn die Astronauten frische Gemüse anbauten
©RHS Campaign for School Gardening
Müsli-Riegel mit Spirulina-Algen und Goji-Beeren, von der ESA- für Astronauten entwickelt. Spirulina hat mehrere Vorteile. Sie wandelt Kohlendioxid in Sauerstoff um, vermehrt sich rasch und liefert die Proteinbasis für ein schmackhaftes Astronauten-Mahl
Deshalb muss den Nährstoffen ebenso viel Bedeutung beigemessen werden wie der Sensorik: „Unser Ziel ist, die Astronauten körperlich und geistig in Form zu halten. Sie sollten die Menüs variieren können, um sie zu geniessen und um Depressionen oder Gewichtsverlust zu verhindern. Sie dürfen aber auch nicht zunehmen, denn sie müssen ja noch in ihren Raumanzug passen!“, lacht Laurence Nicolay
Appetitverlust zu bekämpfen ist von vitaler Bedeutung. Trotz der langen Reisezeit werden die Astronauten einer bemannten Marsmission wahrscheinlich bestens ernährt werden. Bis jetzt müssen sich Astronauten mit Fertiggerichten begnügen. „Natürlich können sie wählen, was sie essen möchten, doch manchmal mögen sie – einmal vor Ort (auf der Mission, Anm. d. Red.) – die auf der Erde ausgewählten Gerichte nicht mehr“, sagt Laurence Nicolay. Das Projekt MELiSSA ist in dieser Hinsicht innovativ, da es den Astronauten erlaubt, ihre Nahrung selbst herzustellen und zuzubereiten. Sie können Speisen nach individuellen Vorlieben gestalten - ein nicht zu unterschätzender Akzeptanzvorteil.
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