Interview
Direktorin Ursula Zeller, die seit 2014 an der Spitze der Einrichtung steht, gewährt einen ersten Einblick in das neue Museumserlebnis.
Das Museum erlebt seine zweite bedeutende Neukonzeption seit 1985. Was waren die Gründe dafür?
„Museen müssen sich weiterentwickeln, weil sie sonst für Besucher nicht mehr interessant sind. Spätestens nach 10 Jahren sollte eine Dauerausstellung neu formuliert werden. Der Zeitpunkt für das Alimentarium war günstig, als der Beschluss gefasst wurde, künftig nicht mehr nur ein lokal an Vevey gebundenes Museum zu unterhalten, sondern das Alimentarium sieben Tage die Woche je 24 Stunden im Internet zugänglich zu machen. In Vevey können wir uns räumlich nicht erweitern, aber wir können stattdessen das Museum virtuell entgrenzen. Die Idee ist: Wo auch immer Sie hingehen und sich befinden – das Alimentarium begleitet Sie. So wird unser Angebot an Informationen für alle Menschen überall auf der Welt erreichbar und interessant.“
Können Sie uns die Leitlinien der neuen Dauerausstellung des Alimentarium vorstellen?
„Die neue Dauerausstellung Essen – Die Essenz des Lebens stellt das Individuum in den Mittelpunkt und schafft so einen direkten, individuellen Einstieg des Besuchers in die Materie. Kein Thema ist so nah am Menschen wie die Ernährung – sie betrifft jedes einzelne Lebewesen und fast jeden seiner Lebensbereiche: kulturell, physiologisch, sozial, ökotrophologisch, wirtschaftlich, medizinisch. Die Dauerausstellung beantwortet zentrale Fragen wie „Was esse ich“, „Wie esse ich“ und „Warum esse ich“. Damit kommen wir automatisch zur Frage der Nahrungsmittel, der Gesellschaft, der Körperfunktionen und ihrer Interdependenz mit der Ernährung.“
Das Museum ist jetzt auch auf die Ernährung ausgerichtet. Können Sie uns mehr darüber sagen?
„Das künftige Hauptthema des Alimentarium wird Nahrung und Ernährung der global lebenden Menschheit in Geschichte und Gegenwart sein. Innerhalb seiner Themenfelder wird das Museum den Schwerpunkt auf Gegenwartsprobleme und offene Zukunftsfragen legen. Keine Zukunftsprojektion kann die Zwänge künftiger Nahrungsversorgung und deren Kausalzusammenhang mit der Umwelt auslassen. Aber für den Besucher geht es nicht nur darum, dass und was gegessen wird, sondern auch um das Wie und um Wirkungen. Die (Kultur-)Geschichte der Nahrungsproduktion, des Kochens und der Ernährung sowie die überkommenen Objekte zu dieser Materie dienen dabei als Referenzen für unser heutiges und ein mögliches zukünftiges Themenverständnis. Der Besucher erfährt, dass Antworten zur Ernährung zeit-, orts- und kulturabhängig sind. Er lernt zu verstehen, dass es objektivierbare Vorgänge bei der Produktion, bei der Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsmitteln, aber vor allem auch bei deren Aufnahme durch den Körper gibt. Er wird zudem sich bewusst werden, dass es keine allgemeingültigen Wahrheiten zur Ernährung gibt. Jede Zeit, jede Kultur und jedes Land setzt andere Prioritäten - abhängig vom Wissensstand, aber auch von Traditionen, religiösen Vorstellungen oder verfügbaren Ressourcen.“
Mit einem vielfältigen Academy-Programm, das sowohl im Museum als auch online in Form von MOOC‘s für Schüler und Lehrer verfügbar ist, steht die Pädagogik im Mittelpunkt. Warum stärken Sie diese Ausrichtung in Ihren Aktivitäten?
„Kinder und Jugendliche stellen eine der wichtigsten Zielgruppen des Alimentarium dar. Unsere stark nachgefragten Programme für Schulen bezeichnen ein Alleinstellungmerkmal des Museums, auf das wir stolz sein können. Deshalb lag es nahe, neue Programme für diese Gruppe zu entwickeln. Viele ernährungsabhängige gesundheitliche Herausforderungen – wie Fettsucht, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen – korrelieren mit bestimmtem Essverhalten. Und wenn wir dieses Verhalten positiv beeinflussen wollen, dann sollten wir bei den Kindern anfangen. Deshalb haben wir intensiv in unser Academy-Programm investiert, das zum ersten Mal nicht nur die Schüler, sondern zugleich Lehrer und Eltern mit einbezieht. Das Kind allein schafft es nicht, sein Verhalten zu ändern – dazu gehören das Umfeld, die Schule, die Familie. Beiden wollen wir leicht zugängliche Informationen zur Verfügung stellen. Der immer eingebaute Spassfaktor soll ihre lebenspraktische Umsetzung positiv und lustvoll motivieren.“
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